Susanne Andreß: Liebesgeschichte mit Buch

 

 

Ein Interview mit Susanne Andreß

Frau Andreß, Sie sind Inhaberin der bekannten und renommierten Buchhandlung am Markt in Neckarsulm. Haben Sie den Beruf der Buchhändlerin von klein auf geplant? War er vielleicht gar Ihr Traum?

Ich habe ihn nicht geplant, aber ein Traum war es schon von mir. Gelernt habe ich ihn nach meinem Erstberuf als Erzieherin. In dem war ich tätig, bis ich mit 36 Jahren Buchhändlerin wurde.

Was war der Grund für Ihren Wechsel - waren sie unzufrieden in ihrem Beruf?

Unzufrieden kann man nicht sagen – ich war beim katholischen Bildungswerk und habe versucht, "böse Buben" zu resozialisieren. Das war sehr strapaziös und leider auch wenig erfolgversprechend.
Die Liebe zur Literatur wurde bei mir früh geweckt. Und schon als Erzieherin hielt ich jahrelang Kurse für Kinder zu Büchern in der Jugendkunstschule und verschiedenen Stadtbüchereien ab. Von daher gab es den roten Faden des Buches immer schon in meinem Leben. Durch einen glücklichen Zufall war dann dieses Lokal in Neckarsulm frei und in meinem tiefsten Innern wusste ich, dass die Zeit da ist, meine Liebe zu den Büchern zum Beruf zu machen.

Empfanden Sie das nicht als großes Wagnis, als Unternehmerin in eine Branche einzusteigen, in der Sie keine Erfahrung gesammelt hatten?

Es hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich habe in dem Moment genau gewusst und es ganz tief erspürt, dass es die richtige Entscheidung ist; ehrlicherweise muss ich sagen, ich habe nicht groß über ein Wagnis nachgedacht. Ich hatte einfach den Mut es zu tun und wusste, dass es funktionieren wird.

Was war für Sie die treibende Kraft, um sich in dieses Abenteuer zu stürzen?

Die treibende Kraft war wirklich meine Intuition. Ich habe in dem Moment als Helena Strühmann zu mir sagte, dass der Horst seine Galerie aufgibt, gewusst, dass das der richtige Ort für eine Buchhandlung ist. Es gab nicht den Funken eines Zweifels.
Ich wusste, ich werde Bücher verkaufen, die ich selbst leidenschaftlich liebe und so bin ich auch an die Erst-Ausstattung mit der Ware Buch gegangen. Ich habe sie sehr persönlich gehalten und es hat gut funktioniert.
In der Zwischenzeit sind natürlich andere Bereiche dazu gekommen, aber was uns nach wie vor ausmacht, ist eine sehr persönliche Auswahl an Büchern, die wir mit großer, großer Leidenschaft verkaufen. Ich bin auch davon überzeugt, dass es im Leben immer so  ist: Wenn Aussage und Inhalt stimmen, wenn Wahrhaftigkeit im Spiel ist, dann passt es einfach.


Wenn ich sie richtig verstehe, werden die Bücher, die sie verkaufen, von ihnen auch alle gelesen?

Ja – wir lesen nahezu alles. Natürlich gibt es Bereiche, die uns nicht so nahe sind, zum Beispiel „Fantasy“. Aber wir sind hier fünf Frauen mit ihren angeschlossenen Familien – und alle lesen. Das gibt ein breites Netzwerk an gelesenen Büchern. Wenn man es genau betrachtet, lesen alle und ständig. Ich selbst bin immer noch in Liebe zum geschriebenen Wort - und werde es auch weiterhin sein.

Woher kommt diese große Liebe – wo war der Punkt, an dem sie begann?

Es hat angefangen als ich noch ziemlich klein war. Mein Vater war selbstständig und hatte wenig Zeit für meine Schwester und mich. Es gab aber eine „heilige Zeit“ – und die war am Sonntag-Morgen. Da hat mir mein Vater als ich etwa 4 war, den Räuber Hotzenplotz vorgelesen. Dann hat er mir nach und nach, immer an Sonntag-Vormittagen, alle Ottfried-Preußler-Bücher vorgelesen. Das war mein erster Kontakt zur Literatur. Im Zusammenhang damit, dass er in dieser Zeit wirklich für mich da war, hat er wohl auch meine Liebe zu Büchern geweckt. Sie versetzten mich in eine andere Welt. Das ist ja das Schöne an Büchern, man reist in andere Länder, begegnet anderen Menschen und damit fällt es leicht, aus seinem Alltag abzutauchen.



Anders als bei Männern stellt sich bei Frauen immer die Frage, wie sie Beruf mit Kindern und Familie in Einklang bringen können. Wie war das bei Ihnen?

Ich glaube, das war für die Außenwelt schwieriger als für mich. Ich hatte die Buchhandlung eröffnet, als meine Tochter eingeschult wurde. 80 Prozent meines Umfeldes sagten damals – das geht gar nicht! Du kannst dich nicht selbstständig machen, wenn deine Tochter eingeschult wird! Aber es ging.
Meine Tochter ist heute 22 und ich bin mir sicher, sie hat keinen Schaden genommen. Wenn man sie fragte, würde sie es wahrscheinlich bestätigen; und sie würde es auch sagen, wenn es nicht so wäre.
Wobei es für mich immer wieder zu Gratwanderungen führte. Betreuungszeiten der Schule gab es damals nicht wie heute. Es gab nur eine Kernzeitbetreuung. Trotzdem ging es. Es gab ein Netzwerk von Nachbarschaftshilfe, es gab Felis Papa, der am Nachmittag nicht so lange arbeitete – es hat sich immer wieder ganz glücklich gefügt. Wenn dann doch mal alle Stricke rissen, war meine Tochter eben hier mit mir in der Buchhandlung. Das war, glaube ich, auch nicht der schlechteste Ort. Von daher ging es gut.

Es ist aber so, dass man als Mutter – gerade zum Beispiel im Weihnachtsgeschäft oder ähnlichen turbulenten Zeiten, in denen man sehr im Betrieb eingebunden ist – selbst die Zeit mit seinem Kind vermisst. Das habe ich immer wieder so empfunden. Andererseits, wenn ich mal längere Zeit zu Hause war, schien es für meine Tochter so ungewohnt, dass ich fast schon ihren Wunsch spürte, dass Mama wieder zur Arbeit gehen sollte.

Teilt Ihre Tochter ihre Liebe zu Büchern?

Ich denke schon, weil Feli jetzt Kultur- und Literaturwissenschaft studiert. Die Liebe zu den Büchern scheint sich auf sie übertragen zu haben.

In Zeiten von Internet, E-Books und Co stellt sich natürlich auch die Frage, welche Rolle eine Buchhandlung heute spielen kann oder spielen sollte?

Ich glaube wir sind fernab einer „regulären Buchhandlung“. Ich habe mir immer gewünscht, dass es so werden sollte. Wir sind ein Ort der Begegnung. Hier passiert ganz viel zwischen den Bücher.
Natürlich werden Bücher verkauft, aber es gibt auch sehr viele Gespräche und sehr viel persönlichen Austausch. Manchmal erfahre ich Trauer, wenn ich mit Menschen am Fenster sitze und sie mir ihre Seele öffnen; aber noch viel öfters sehr viel Freude. Meine Buchhandlung ist ein Ort, an dem man nicht nur verweilen, sondern auch das Leben spüren kann, wenn man sich drauf einlässt.
Das ist auch das, was uns immer von einem elektronischen Bestellweg und vom Internet unterscheiden wird.
Wir sind in vielen Dingen ein magischer Ort und Menschen, für die es passt, nehmen es gerne an.

Also würden sie sagen, die beiden Bereiche stehen eher nebeneinander – und nicht in Konkurrenz?

Ja, das sehe ich so. Natürlich muss man das E-Book ernst nehmen; es hat mit Sicherheit dem Buchhandel etwas genommen. Andererseits gilt es ja auch die Möglichkeiten einer eigenen Internetseite zu nutzen. Wir pflegen sie nicht nur sorgfältig, wir sind auch mit unserem Großhändler verlinkt, so dass man auch bei uns elektronische Bücher herunterladen kann.
Wenn man sich also den neuen Medien öffnet, dann ist das kein wirklicher Verlust, sondern ein Zugewinn. Besonders empfinde ich das mit dieser wunderbaren Instagram-Seite. Es ist wie sonst im Leben auch; man kann alles, was an Veränderung im Leben daher kommt, als „Gefahr“, aber auch als Chance sehen.

Wie sehen sie für sich und Ihre Buchhandlung den Weg der nächsten Jahre? Oder anders gefragt, welche Pläne haben Sie?

Ich habe in den vergangenen Jahren, besonders auch in der letzten Zeit gelernt, dass man zwar viel planen kann, aber dass es dem Leben manchmal beliebt, einem letztlich anderes zu bescheren. Also habe ich mir abgewöhnt, im großen Stil zu planen. Ich bin im Jetzt, bin sehr in der Achtsamkeit und das tut mir gut.
Ich denke, unser einfacher Plan ist es, Bücher zu verkaufen solange es Bücher gibt, und das mit großer Leidenschaft. Wir werden hier noch mehr Raum schaffen, um unsere Kunden angenehm zu beherbergen; damit es noch bequemer und so richtig zum Wohlfühlen wird. Solange die Kunden uns mit so viel Freude besuchen, bin ich ohne Sorge.

 

Vielen Dank Frau Andreß für das Gespräch.

Petra Müller - Fotografieren mit Gefühl 0